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Gemeinsam was fürs Städtchen tun Interview:

KATHARINA SCHäFER AUS AßLAR IST IM LAHN-DILL-KREIS DIE EINZIGE FRAU AN DER SPITZE EINES KOMMUNALPARLAMENTS

(gh). AßLAR. Irgendwie ist es amüsant: Das iPhone verortet das Haus von Katharina Schäfer in Aßlar mit „Rathaus“. Nun, so ganz falsch liegt die Technik nicht. Rathaus und Stadthalle sind nahe und in Letzterer leitet die 40-Jährige als Stadtverordnetenvorsteherin die Parlamentssitzungen. Sie ist die einzige Frau im Lahn-Dill-Kreis in der Position und das seit 26. April, also etwa 100 Tagen. Zeit für ein Interview – ihr allererstes.

Frau Schäfer, erst Stadtverordnete, FWG-Fraktionsvorsitzende, nun Stadtverordnetenvorsteherin. Wie fühlt frau sich?

Es war für mich schon eine große Sache, als dieser Wunsch an mich herangetragen wurde. Ich bin 2006 ins Stadtparlament gekommen, da gab es wenige Frauen im Parlament und wenige jüngere Leute, egal, ob Mann oder Frau. Damals dachte ich beim Blick nach oben aufs Podium, wo Bürgermeister und Stadtverordnetenvorsteher sitzen, das sind die hohen Herren. Dass ich einmal da sitzen würde, war für mich bis zur Wahl nicht unbedingt klar.

Es gab aber nicht den Moment, wo ich gesagt habe, ich will jetzt Stadtverordnetenvorsteherin werden, weil das Amt für mich immer mit sehr viel Verantwortung, Wissen und Erfahrung verbunden war; nicht, dass ich das nicht hätte. Aber ich arbeite, bin Kindheitspädagogin in einem Kindergarten in Solms, habe ein Kind, meine Tochter Marie (3), und meinen Mann Christian. Da erwartet man nicht unbedingt, dass eine Frau solch ein Amt übernimmt.

Warum engagieren Sie sich dennoch politisch?

Das ist so ähnlich als würden Sie jemanden fragen, warum engagieren Sie sich in einem Verein? Man will sich für einen Ort engagieren und das war es bei mir auch.

Ist der „Job“ so wie Sie es erwartet haben?

Das empfindet jeder anders. Es kommt darauf an, wie man dieses Amt ausübt. Ich habe in vielen Gesprächen mit Kommunalpolitikern, auch solchen in höheren Ämtern, gehört, dass es wichtig ist, dass nicht ich mich dem Amt anpasse, es so ausfüllen will, wie meine Vorgänger, sondern dass das Amt sich auch mir anpassen muss. Nur so gewinnt man auch junge Frauen dazu, sich zu engagieren. Bis jetzt fühle ich mich sehr wohl mit diesem Amt.

Gibt es Männer, die Sie in dieser Position skeptisch sehen?

Ich hatte bisher nie den Eindruck, dass es Skepsis gab, weil ich eine Frau bin. Vielleicht wäre es anders, wenn ich ganz neu ins Parlament gewählt und gleich Stadtverordnetenvorsteherin geworden wäre. Aber da ich schon seit 15 Jahren in der Stadtverordnetenversammlung arbeite, kennen mich die Leute schon.

Wie bereitet man sich auf solch ein Amt vor?

Die erste Fortbildung beim Hessischen Städte- und Gemeindebund habe ich schon gemacht. Und es gibt viele Menschen mit Erfahrung in der Kommunalpolitik, die ich fragen kann. Leider ist der ehemalige Stadtverordnetenvorsteher aus unseren Reihen, Bernhard Völkel, gestorben, es wäre schön, ihn noch fragen zu können. Das Wissen um Verordnungen und Gesetze – ich will das nicht kleinreden– ist das, was obendrauf kommt; die meisten Entscheidungen trifft man mit gesundem Menschenverstand und aus Erfahrung.

Sie haben es mit einer Mehrheit aus FWG und Grünen zu tun. Aber als Stadtverordnetenvorsteher(in) sollte man alle im Blick haben. Werden Sie SPD und CDU mit ins Boot bekommen?

Ich bin zuversichtlich. Zum einen gab es in beiden Parteien einen Generationenwechsel. Zum anderen haben wir alle den Anspruch, etwas Gutes für die Stadt erreichen zu wollen. Die Kunst ist dann, dass eine demokratisch gefällte Entscheidung auch akzeptiert wird und man mit dieser Entscheidung umgeht. Da werden wir noch unsere Probleme haben, aber ich bin sehr zuversichtlich, denn jeder, der da im Parlament sitzt, will etwas fürs Städtchen tun.

Hat es eine Frau an der Spitze leichter oder schwerer?

Im Prinzip ist es egal, ob da oben eine Frau oder ein Mann sitzt. Es geht darum, dass da jemand sitzt, der möglicherweise Erfahrung hat, obwohl das auch nicht unbedingt das Entscheidende sein muss.

Wir haben in den ersten drei Sitzungen meiner Amtszeit schon wichtige Entscheidungen getroffen. Da war die konstituierende Sitzung, in der ich gewählt wurde. Dann haben wir den Haushalt verabschiedet, damit etwas passieren kann, und mussten die Kindergartengebühren erhöhen.

Wobei auch mir dabei das Herz blutete, aber es bleibt einem am Ende nichts anderes übrig. Auf der anderen Seite haben wir entschieden, die Kita-Gebühren während der Pandemie nicht zu erheben. Die Kitas sind personell und finanziell der aufwendigste Bereich, das ist ein Thema, das Familien und besonders Frauen sehr betrifft. Wenn man keinen Kindergartenplatz oder keine gute Betreuung hat, erschüttert das manche Familie in den Grundfesten.

Deshalb freue ich mich immer, wenn solche Entscheidungen unter Mitsprache einer möglichst vielfältigen Stadtverordnetenversammlung getroffen werden. Unsere Gesellschaft wird immer vielfältiger und Frauen stellen die Hälfte der Bevölkerung, ich würde mir wünschen, dass eine Stadtverordnetenversammlung genau solche Dinge auch abbildet. Weil, wie gesagt, Entscheidungen immer aus einer bestimmten Perspektive heraus getroffen werden. Jemand, der kinderlos ist und ein Häuschen hat, hat eine andere Perspektive auf Kindergartengebühren als eine junge Familie, die gerade nach Aßlar gezogen ist und einen Platz für das Kind braucht.

Ist die Stadtverordnetenvorsteherin unparteiisch oder folgt sie dem Fraktionszwang?

Die FWG kennt einen Fraktionszwang so gar nicht. Ich hätte mir aber auch vorher nicht sagen lassen, wie ich abstimmen soll. Mein Anspruch als Stadtverordnetenvorsteherin ist ein hoher, nämlich der, überparteilich zu sein. Auf der anderen Seite kann man aber nicht von mir erwarten, dass ich zu bestimmten Dingen keinen Standpunkt habe. Ich habe eine Meinung und wenn die sich mit dem Konsens in der FWG deckt, ist es okay, wenn nicht, dann ist das so.

Bisher machten Sie auf dem Podium einen ruhigen Eindruck. Wann wird Frau Schäfer laut?

Laut werde ich prinzipiell nicht, das gehört sich als Stadtverordnetenvorsteherin auch nicht. Dass man laut wird oder schreit, ist unprofessionell. Es gibt andere Möglichkeiten, wie man jemanden auf bestimmte Dinge aufmerksam machen kann. Dass man bei bestimmten Vorkommnissen mal die Stimme erhebt und etwas sagt, kann passieren, aber es ist schöner, wenn man es nicht muss, sondern wenn alles glatt läuft und ordentlich diskutiert wird..

Im Umgang hilft es vielleicht, dass Sie Kindheitspädagogin sind?

Das kann sein (lacht). Wie hat eine Arbeitskollegin sinngemäß gesagt: Katha, im Prinzip ist es ja egal, ob du in der Kita den Morgenkreis mit Kindern leitest oder die Stadtverordnetenversammlung: Du musst immer nah dran sein am Geschehen.

Das Interview führte Gert Heiland

siehe auch Katharina Schäfer führt Stadtparlament WNZ 28.04.21

Quelle: Wetzlarer Neue Zeitung, 10.08.2021